Amberton- Distrikt , Xolara, Solaris VII
Tamarind- Mark, Vereinigtes Commonwealth
6. Oktober 3052
Schwaden von Zigarettenrauch trübten die Luft in der überfüllten
Kneipe, die nur teilweise von Sicherheitsfackeln erhellt wurde; trotz der herrschenden
Finsternis hatte Alfons Ozawa das merkwürdige Gefühl, daß er
und Micky Starling von mindestens l000 interessierten Augenpaaren beobachtet
wurden, seit sie sich auf einen Fingerzeig der mürrischen Wirtin hin am
einzigen freien Tisch in der Ecke niedergelassen hatten. Kurzum- Alfons fühlte
sich nicht unbedingt wohl, und inzwischen bedauerte er ein wenig, seiner blonden
MechKrieger-Kollegin nachgegeben zu haben...
Es war ursprünglich nicht seine Absicht gewesen, den Stadtkern von Solaris
zu verlassen- schon gar nicht an ihrem ersten Tag auf diesem Planeten-, aber
Micky hatte unbedingt "das Umland erforschen" wollen. Also waren sie
nach einer längeren Diskussion gestiefelt und gespornt aufgebrochen, um
die Schönheiten des Planeten in Augenschein zu nehmen. Vom ständigen
Nieselregen durchweicht, halberfroren und mit wunden Füßen hatte
sich Micky schließlich geschlagen gegeben, als sie erkannt hatte, daß
sie sich in völliger Dunkelheit bereits zum vierten Mal an ein und derselben
Straßenecke vorbeischleppen wollten...
Grantig hatte sie eine der leichtgeschürzten Damen, die die Straße
entlangpatrouillierten, danach gefragt, wo sie sich eigentlich befanden. "Amberton,"
hatte die amüsierte Antwort gelautet, und den beiden Söldnern war
spätestens zu diesem Zeitpunkt schmerzlich bewußt geworden, daß
ihre Kenntnisse der örtlichen Geographie sehr begrenzt waren. Und so waren
sie auf der Suche nach Wärme, Trockenheit und einem Telefon im "Blue
Post" gelandet, wo sie- sich an den universellen Gesetzen der Höflichkeit
orientierend- zunächst einmal zwei riesige Krüge mit Bier bestellt
hatten...
"Ich kann's gar nicht glauben," flüsterte Micky über den
Rand ihres Bierkruges hinweg in Alfons' Richtung, "sieh dir nur den ganzen
Dreck an! Und diese Leute!" Sie rümpfte ihre schmale Nase, und Alfons
fühlte sich durch ihre offensichtliche Nervosität dazu veranlaßt,
mehr Selbstsicherheit zur Schau zu stellen, als er im Augenblick besaß.
"Ach was," meinte er in gönnerhaftem Tonfall, "immerhin
ist es warm, ein Telefon gibt es hier auch, und diese Leute sind lediglich--oh-oh."
"Was-"
begann Micky, aber dann sah auch sie den Typen, der zielstrebig und mit grimmigem
Blick auf ihren Tisch zuhielt. Er war jünger als die beiden MechKrieger,
höchstens Mitte Zwanzig, trug sein Haar so kurz, daß man selbst aus
einiger Entfernung die Kopfhaut sehen konnte, und sein blaues Sweatshirt war
-vermutlich aufgrund von hohem Alter- grauenvoll verblaßt und deformiert.
Automatisch glitt eine von Mickys Händen unter den Tisch und in die Nähe
ihrer Sunbeam- Laserpistole. Sicher war sicher...
Blauhemd nickte knapp, als er ihren Tisch erreichte, und ließ sich neben
Alfons nieder, bevor dieser protestieren konnte.
"Ist 'n schöner Abend," meinte er und enthüllte reihenweise
goldüberkronte Zähne, was Alfons dazu brachte, näher in Richtung
der Wand zu rutschen. Der Neuankömmling hob beschwichtigend eine Hand.
"Hey, bloß keine Panik. Ich bin nicht hier, um ein paar Touristen
zu überfallen....falls es das ist, was ihr glaubt."
Alfons schaute zu Micky herüber, die nervös die Achseln zuckte und
es vorzog, stumm zu bleiben. Alfons seufzte.
"Na schön. Was willst du?"
Blauhemd zog eine Braue hoch.
"Ich will's mal so ausdrücken: Ihr seid nicht von hier. Das ist nicht
zu übersehen, und deswegen werdet ihr früher oder später Ärger
kriegen. Mächtig viel Ärger sogar. - Seht mal, ich weiß ja nicht,
ob's euch aufgefallen ist, aber ihr beiden Hübschen seid so ziemlich die
einzigen Leute hier drinnen, die Panzerwesten tragen und ihre Waffen ziemlich
offen in der Gegend herumschwenken."
Er bedachte Micky mit einem prüfenden Blick und fuhr dann fort.
"Seht ihr, hier in Amberton gibt 's so eine Art Abmachung, was Waffen
betrifft. Amberton ist das Gebiet der Toten-"
"Der Toten ?' Alfons verschluckte sich beinahe an seinem Bier, woraufhin
ihm Blauhemd einen ungnädigen Blick zuwarf.
"Der Toten, jawohl. Das ist 'ne Gang, und die haben sich das öffentliche
Zurschaustellen von Kriegsmaterial jeder Art ausdrücklich verbeten. Gilt
natürlich nicht für ihre eigenen Leute. Seht ihr das Mädel an
der Tür? Sie trägt 'ne Waffe. Sie ist allerdings auch ein Gangmitglied.
Ihr nicht.- Schön, das war's, mehr wollte ich gar nicht sagen. 'Nacht ."
Mit diesen Worten erhob sich Blauhemd und versuchte, sich wieder einen Weg
durch die Menge zu bahnen, aber er sollte nicht weit kommen.
"Du! Bleib hier!" Mickys scharfe Stimme klang nicht so, als sei mit
ihr zu spaßen, also drehte er sich stirnrunzelnd um.
"Was ist?"
"Setz' dich. Ich habe eine Frage."
Alfons nickte bestätigend, woraufhin der so höflich dazu Aufgeforderte
tatsächlich wieder Platz nahm, diesmal neben Micky.
"Na schön. Schieß los."
Micky beugte sich nach vorne und stieß ihren spitzen Zeigefinger in seine
Richtung.
"Hast du uns gerade klarmachen wollen, daß man in Amberton fremdenfeindlich
ist?"
"Nicht ganz." Ein goldzahniges Lächeln ließ Micky zurückzucken.
"Ich bin schließlich auch nicht von hier.- Ich meine nur, daß
ihr euch vor eurem kleinen Ausflug über die lokalen Sitten und Gebräuche
hättet informieren sollen. Das schadet für gewöhnlich nicht.
Es ist leider so verdammt einfach, hier sein Geld oder seine Zähne zu verlieren.
Oder sein Leben.- Tschüß."
"Hey, warte." Alfons hob seinen Zeigefinger. "Bitte, warte doch.
Du kannst uns sicherlich noch ein bißchen mehr über die lokalen Sitten
und Gebräuche erzählen, oder?"
Das Grinsen, das folgte, galt diesmal Alfons Ozawa.
"Klar kann ich das. Nur will ich nicht. Ich war heute sowieso schon viel
zu menschenfreundlich.- Überlebt einfach diese Nacht in Amberton, dann
können wir uns ja noch mal unterhalten. - Ich wünsch' euch Beiden
'ne schöne Nacht, trotz all der Schießereien, die in letzter Zeit
hier Mode geworden sind. Adjö så länge."
Dieses Mal verspürten weder Alfons noch Micky das Verlangen, Blauhemd
zurückzuhalten; stattdessen sahen sie ihm solange nach, wie es die begrenzten
Sichtverhältnisse im "Blue Post" erlaubten.
Alfons starrte sinnierend auf seinen halbgeleerten Bierkrug und kratzte sich
dann an seinem wohlondulierten Haupt.
"Wir sollten uns schleunigst umziehen, was meinst du?"
Micky seufzte, lächelte müde und meinte, "Dazu müßten
wir zunächst einmal zurück zum Hotel kommen - und wenn ich den Aussagen
eines geheimnisvollen Fremden Glauben schenken darf, könnte sich alleine
das äußerst schwierig gestalten."
"Unsinn," schnaubte Alfons entrüstet, "die kannibalischen
Eingeborenen dieses Stadtviertels werden uns wohl kaum aus einem fahrenden Wagen
herauszerren. - Ich rufe jetzt an und bestelle ein Taxi hierher."
"Gut," meinte Micky und fügte nach einem nachdenklichen Blick
auf die Bewaffnete neben der Eingangstür hinzu, "und wenn du schon
zum Tresen gehst, kannst du auch gerade unsere Zeche bezahlen."
Aber genau das konnten weder Alfons noch Micky ohne ihre Geldbörsen.
Und ohne Papiere.
Und Waffen.
Nicole O.
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