Der frisch beförderte Lt. Cio Wargate saß im neuen Dodge Crossfire
2031er Baujahr und lenkte das Fahrzeug mißmutig durch die tiefen und überfüllten
Straßenschluchten Neo Northsides. Langsam bahnte sich das 4m lange und
2,10m breite Ungetüm von Wagen seinen Weg entlang den Bürger-steigen
und Geschäften der City. Die 280 PS röhrten unter der Motorhaube und
wollten ausgefahren werden, was bei dem Verkehr jedoch unmöglich war. Das
dunkelgraumetallic lackierte Auto mit dem silbernen Stern des Police Departe-ments
auf der Fahrertür hatte gewisse Extras eingebaut, um seinem Fahrer im täglichen
Kampf auf der Straße Überlebenschancen zu sichern. Ohne die kugelsichere
Karosserie, Scheiben und Reifen hätte mancher Cop sein Leben lassen müssen,
und auch die Computerunterstützung bei gewagten Fahrmanövern erwies
sich oftmals als Vorteil, mußte man hinter irgendwelchen irren Motorradgangs
herjagen.
Jedesmal, wenn Wargate in der Stadt Streife fahren mußte, dachte er an
den Grand Canyon. Er fühlte sich unendlich klein angesichts der scheinbar
kilometerhohen Hochhäuser mit ihren verspiegelten Fassaden, Wohnpyramiden
und Glaskonstruktionen der Konzerne, die in den ständig dunklen Himmel
zu wachsen schienen. Bei einer Einwohnerzahl von 8,2 Millionen war die Enge
vorprogrammiert, jede Wohngelegenheit wurde genutzt, sollte sie auch noch so
klein sein. Am Stadtrand spien riesige Fabriken in dreckigem Graubraun giftige
Wolken aus, verpesteten die Luft und waren dennoch die einzige Hoffnung für
viele Menschen, um über-leben zu können. Mit wenig Lohn mußten
sich die meisten über Wasser halten.
Der Lt. wußte nur zu gut, wie es endete. Nachts gingen die Frustrierten
und Gleichgültigen auf die Straße und reagierten sich hemmungslos
ab, organisierte Banden beherrschten ganze Blocks und Stadtviertel. Straßenkämpfe
in den Vor-orten gehörten schon lange zum Alltagsbild. Wargate würde
viel lieber bei den Luftpatrouillen arbeiten, die in sicherer Höhe herumflogen
und Meldung machten. Leute wie er durften dann ihren Arsch in Bewegung setzen,
Ganger zur Ordnung rufen oder sich in den Kugelhagel einer Mossberg werfen.
Er gehörte eben zu den 125789 Idealisten, die Recht und Gesetz in Neo Northside
halbwegs aufrecht zu halten versuchten. Am schlimmsten waren die Vercyberten,
die vor lauter Schaltkreisen im Kopf und Drähten im Körper durch-geknallt
waren und Leute einfach so killten. Für sie gab es Spezialkommandos, die
sie rechtzeitig zur Strecke brachten, bevor sie mehr als 20 Passanten töten
konnten.
Die Straßen waren 2031 A.D. ein moderner gefährlicher Dschungel
aus Stahl, Chrom, Glas und Steinen, in dem man schneller für ein paar lumpige
Creds sterben konnte als ei-nem lieb war. Eigentlich gehörte Wargate zum
Bürostab des Police Departements, doch dank seiner guten Schießergeb-nisse
und akutem Personalmangel in der Abteilung "Straßenkriminalität"
war er vor einer Woche versetzt worden. An-statt Ordner zu blättern, mußte
er nun durch die engen, fahrzeug- und menschenverstopften Fahrwege chauffieren
und haßte es. „Das ist mir egal, ob sie es mögen oder nicht,
Wargate. Morgen sind sie ein Drive- By, verstanden?!“ hatte ihm Chief
Morgan befohlen.
´Wunderbar` dachte der Cop und betrachtete sich im Rück-spiegel.
Kurze, schwarze Haare, graue Augen und ein kanti-ges übermüdetes Gesicht
erkannte er. Die Platzwunde über dem linken Auge, die er sich vorgestern
bei einer Verhaftung geholt hatte, verheilte besser. Dabei hatte die letzte
Woche gut angefangen, denn er hatte sich nach einem dreiwöchigen Aufenthalt
auf einer Frischluftkolonie wirklich erholt und entspannt gefühlt, obwohl
er dafür ein kleines Vermögen an Creds bezahlt hatte. Und nun das!
„Einsatzzentrale an Lucifer!“ quakte sein Funksprechgerät.
„Hier Lucifer. Was gibt`s?“ meldete sich der Mann über sein
Kehlkopfmikrophon. „Wir haben ein 2-1-1 in der Forest Avenue, Nummer
1983c. Scheint dringend zu sein, Lucifer. Beeilen sie sich!“ Wargate
stöhnte leise. 2-1-1 bedeutete „Notruf bei Lebensgefahr“
und diese Einsätze war er bisher nur zu zweit gefahren. Dummerweise hatte
sein Partner bei der Verhaftung weniger Glück gehabt als er. „Roger,
Zen-trale, bin unterwegs!“
Der Mann grinste voller Vorfreude auf das, was er jetzt tun durfte. Mit einem
Knopfdruck schaltete er die rot- blauen Signallampen auf dem Dach des Crossfire
ein, ließ die Sirene heulen und trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch.
Wenn ihm irgend etwas an seinem Job Spaß machte, dann war es das Autofahren!
Nach ein paar Metern aktivierte er die Computerunterstützung des Dodges,
was die Straßenlage des graumetallicfarbenen Crossfire und das Lenkverhalten
verbesserte, und hatte mit der Steuerung alle Hände voll zu tun.
Das Polizeifahrzeug preschte mit röhrendem Motor durch die schmalen Gassen,
die von den anderen Wagen gebildet wur-den, riß mehrere Außenspiegel
ab und schoß mit mehr als 100mph über die Kreuzungen. Cio drehte
den Lautstärke-regler des Ghettoblasters auf dem Beifahrersitz hoch, so
daß die harten Klänge von Ministry mit 110 db durch den Innenraum
des Crossfire dröhnten. Kaum erreichte Wargate die Außenbezirke,
beschleunigte er den Dodge auf 200mph.
*
Wenig später war der Lt. an seinem Ziel angelangt. Die Forest Avenue gehörte
zu den Stadtvierteln, die seit 2011 nur spärlich und billig wiederaufgebaut
worden waren. Ganz Northside fiel dem großen Cybergang- Krieg 2010 zum
Opfer, aus dessen Ruinen Neo Northside entstand, nun eine prächtige überfüllte
Konzernmetropole mit einer Kriminalitätsrate, die so hoch war, daß
sich der Mount Everest dahin-ter verstecken konnte.
Hier war die Gegend der Fabrikarbeiter, der ärmeren Leute, die im Slang
`Rubbish` genannt wurde Alte Metallfässer mit brennenden Autoreifen standen
auf der nächtlichen Straße, die vor Schmutz und Dreck starrte. Katzengroße
Ratten und anderes Ungeziefer wimmelten über den Asphalt, huschten im Strahl
der Scheinwerfer zurück in die Gullys.
Wargate stoppte den Dodge Crossfire, stieg vorsichtig aus und rückte die
dicke Kevlarweste zurecht. Danach zog er den schwarzen Helm über, verband
die Kabel mit der Energiebox an seinem Gürtel und aktivierte die eingebaute
Elektronik im Kopfschutz. Sofort lieferte der Restlichtverstärker trotz
der drückend grauen Dunkelheit und den Qualmwolken ein kla-res Bild der
Umgebung mit Entfernungs-, Größen- und Bewegungsangaben der erfaßten
Objekte.
Ein bewaffneter Helikopter donnerte über ihn hinweg und raste in Richtung
City, dicht gefolgt von mehreren gepan-zerten Hovergleitern, welche die tiefroten
Buchstaben "C-SWAT" trugen. `Wahrscheinlich muß wieder ein amoklaufender
Cyb zur Strecke gebracht werden`, dachte Wargate und schauderte bei dem Gedanken,
sich einem dieser Mon-ster stellen zu müssen. Da blieb er dann doch lieber
ein Drive- By, wie die Streifenpolizisten geringschätzig genannt wurden.
„Zentrale an Lucifer. Beeilen sie sich besser. Wir haben bereits den
3. Anruf erhalten!“ - „Ich hab`s verstanden, Mä-dels. Ich
jogge schnell mal hin und sehe nach.“ erwiderte der Mann, nahm die automatische
Schrotflinte Corix der Firma H&K aus der Halterung des Dodges und ging zu
dem Haus, auf das mit großen Ziffern die Zahl 1983c gesprüht worden
war. Wargate betrat mit einer gewissen Nervosität die Veranda und drückte
den verschmierten Klingelknopf.
Doch nichts tat sich. "Hallo, Sir!" rief er laut und klopfte. „Neo
Northside Police Departement, Lt. Wargate. Sie haben einen 2-1-1 an uns geschickt
und falls das ein Scherz gewe-sen sein soll, reiße ich ihnen den Kopf
ab, Sir! Würden sie wohl die Freundlichkeit haben und die Tür öffnen?!“
Aus dem Innern des Gebäudes klang ein dumpfes Poltern, gefolgt von einem
Stöhnen. Der Cop atmete tief durch, trat die Tür ein und schwang sich
seitlich des Einganges in Dek-kung, genau mit dem Rücken auf die Klingel.
Als die be-fürchteten Schüsse ausblieben und die Klingel von ihm mit
einem wütenden Fausthieb zum Verstummen gebracht worden war, spähte
er vorsichtig ins Haus. Das Display sprang aufgrund der völligen Finsternis
auf Thermal- und Infrarotsicht um. Die meisten Polizisten waren selbst teilweise
vercybert, konnten sich den Helm damit sparen, aber er hatte bei dem Bürojob
bisher keine Verwendung für die Drähte in sich gehabt.
Am Fuße einer steilen Treppe lag eine recht starke Wärme-quelle
in menschlichem Format. „Hallo, Sir?! Jemand zu Hause?!“ Die Wärmequelle
bewegte sich kriechend auf ihn zu, wimmerte und stöhnte dabei erbärmlich.
Mit vorgehaltener Schrotflinte ging er auf den Menschen am Boden zu, wobei er
den roten Laserzielpunkt vorsichtshalber auf den Kopf wandern ließ. Doch
nach wenigen Metern erkannte er, daß der Person die Beine und der rechte
Arm total zerschos-sen worden waren. In der linken Hand hielt die Person ein
tragbares Funktelefon.
„Helfen sie meiner Frau, Lt.. Er hat sie mitgenommen!“ Wargate
ließ sich auf die Knie sinken, betrachtete die Wunden an den Beinen und
das klaffende Loch im Oberkörper und schätzte die maximale Lebenszeit
des knapp 30 Jahre alten Mannes auf 5 bis 6 Minuten.
„Wo, Sir, und wer?“ Der Verletzte hustete und spuckte Blut. „Er
kam vor zehn Minuten durch die Hintertür und wollte die Autoschlüssel...meine
Frau...auf dem Dach...“ „In Ordnung, Sir. Ich kümmere mich
darum.“ `Ich hätte in der Frischluftkolonie bleiben sollen!` dachte
er verzweifelt. „Lucifer hier. Zentrale, schickt mir eine SWAT- Einheit
in die Forest Avenue und einen Leichenwagen.“ Der verletzte Mann sah
ihn erschrocken an. „Sehen sie mich nicht so an, Sir. Bis die Ambulanz
hier wäre, vergingen mindestens 13min, aber bei ihrem Blutverlust wäre
das Verschwendung. Bestimmt braucht jemand anderes den Krankenwagen dringender
als Sie, Sir.“ erklärte er ruhig. „Und nichts für ungut.“
Der Polizist erhob sich und ging langsam die Treppe hinauf. Die Wohnung, so
bemerkte Wargate aus den Augenwinkeln heraus, war im typischen Glas- Plastik-
Metall- Stil eingerichtet, was die Schritte seiner schweren Stiefel weithin
hörbar machten. „Zentrale hier. Lucifer, wir haben zur Zeit keine
SWAT- Einheit frei. Sichern sie das Gebäude und warten sie auf Hilfe.“
„Scheiße!“ sagte der Cop halblaut und verzog das Gesicht.
Jetzt konnte er die Frau alleine aus den Händen eines schießwütigen
Einbrechers reißen.
Er folgte der Treppe weiter, die ihn auf das Flachdach des 10 stöckigen
Gebäudes führte und sah sich aufmerksam um.
Ein kühler Wind wehte hier oben. Die meterhohen Neonre-klametafeln der
Läden und Firmen leuchteten grell in die Nacht hinein, Lichter aus den
Fenstern der riesigen Wolkenkratzern um ihm herum zauberten bizarre Schatten
an die gegenüberliegenden Wohnpyramiden und Gebäude. Immer wieder
knatterten Hubschrauber und Minihovergleiter wie wildgewordene Wespen zwischen
den Konstrukten entlang, die taghellen Suchscheinwerfer auf den Boden gerichtet,
welche gleißende Lichtbahnen in die nebelhafte Dunkelheit rissen. Die
schwere, dreckige Luft war erfüllt von den Geräuschen der Nacht: Sirenengeheul
mischte sich mit dem Dröhnen der Autos, Gleiter, Helikopter und den Lauten
der Menschen zu einem undefinierbaren, ewigen Rauschen. In der Ferne brannten
die gewaltigen Flammen aus den Schorn-steinen der Fabriken in den schwarzen
Himmel, die das über-schüssige Gas abfackelten.
Wargate überprüfte die Kanten des Daches und fand ein Drahtseil,
das über den Rand hinausführte und leicht pendelte. Der Cop kniete
sich ab und zielte in die Tiefe. 27m über dem Boden baumelte eine Frau
mit dem Kopf nach unten und weinte hysterisch.
Der Lt. steckte die Schrotflinte in den Rückenholster und begann, das
Seil nach oben zu ziehen. „Ich habe Sie, Lady. Mein Name ist Lt. Wargate
vom Neo Northside Police Departement. Noch wenige Sekunden Geduld, bitte!“
rief er ihr zu, als ihn der wuchtige Schlag in den Rücken traf und er die
Balance verlor. Notgedrungen ließ er den Draht wieder los, drückte
sich ab und hechtete auf das Dach des anderen Hau-ses. Kaum gelandet, riß
Wargate die Corix aus dem Holster und legte auf den schattenhaften Angreifer
an, der so plötzlich aufgetaucht war.
Das
elektronische Display auf der Visierinnenseite zeigte einen 1,87m großen
Mann in 4m Abstand, der einen neo-prenähnlichen Anzug über seinem
breiten Körper trug. Die Füße steckten in herkömmlichen
Armystiefeln.
Kahl glänzte der Kopf, an dessen Hinterseite zahlreiche Kabel zu sehen
waren, die im Nacken unter dem Fleisch verschwanden. Sein Gesicht wies häßliche
Operationsnarben auf, die von noch schlimmeren Tätowierungen halbwegs verdeckt
wurden, und ein grauer Beatmungsschlauch verlief aus der Nase unter den Mantel.
Das linke Auge war durch ein rundes, rotierfähiges Linsenkarussel ausgetauscht
wor-den, das sich gerade mit leisem Surren bewegte und die rich-tige Optik auswählte,
während die überproportional vorgewölbte Stirn auf ein implantiertes
Radargerät schließen ließ.
Mit einer Bewegung der Achseln entledigte sich der Unbe-kannte seines Mantels
und von kleinen Erhebungen auf den Schultern flammten zwei rubinrote, bleistiftdicke
Strahlen auf, die den Lt. auf Kopf und Oberkörper anvisierten. Wargates
Augen weiteten sich vor Entsetzen.
`Ein Cyb! Verfluchter Mist, ich lege mich gerade mit einem Cyb der besten Güteklasse
an!` dachte der Drive- By pa-nisch. „Polizei! Legen sie sich mit dem
Gesicht nach unten hin, Sportsfreund, okay?!“ schrie er und drückte
den Kolben der Waffe fester an die Schulter.
„Ich bin Nightmare und muß meinen Auftrag zu Ende brin-gen, Cop.“
sagte der Angreifer mit computermodulierter Stimme, die klang, als ob mehre
menschliche Stimmen gleichzeitig sprechen würden. „Was du hörst,
sind die Stimmorgane meiner Kontrahenten gewesen, die ich gespeichert habe.
Willst du, daß deines ebenfalls dazugehört?! Steh` mir also nicht
im Weg, wenn du schlau bist!“
Der Cyb zog mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit eine Automatik aus dem Schulterhalfter
und richtete sie auf die schreiende Frau, die an ihrem Seil zu zappeln begann.
„Das ist mir scheißegal, Schrottmaschine! Leg` dich hin oder meine
Kugeln bringen dich dazu!“ rief der Lt. über den Abgrund hinweg.
Wargate ließ das Fadenkreuz auf seinem Display auf des Herz des Gegners
wandern und gehorsam wanderte der rote Punkt des Lasers dorthin. „Letzte
Chance für dich, Nightmare, oder ich blase dich mit meiner Corix vom Dach!“
Der vercyberte Mann hob den Kopf und fixierte den Polizisten. „Du nervst
mich, Wargate.“ Mit der zweiten Hand zog er eine Maschinenpistole seitlich
aus dem Gürtel, die, wie die Automatik, per Kabel mit einer Steckbuchse
im Arm verbunden war. Cio ahnte den nächsten Schritt des Cyb und löste
dreimal nacheinander aus. Die Haut Nightmares wurde von den Schrotkugeln abgehobelt,
aber gravierende Schäden blieben aus. Der andere erwiderte lachend das
Feuer, aktivierte die schulterimplantierten Waffen und zog den Stecher der MP
durch.
Das erste Projektil traf mitten ins Visier, ließ die Stahlplexiglasscheibe
splittern und mit Rissen überziehen. Automatisch erlosch das Display und
versagte seinen Dienst. Das zweite schlug in Brusthöhe auf die Kevlarweste
auf und Wargate geriet ins Wanken. Die Salve aus der MP fräste eine Linie
in die kugelsichere Weste quer über den Torso, ließ das graue Material
der Kevlarpanzerung in alle Richtungen fliegen und holte den Lt. endlich von
den Beinen.
Cio streifte benommen den defekten Helm ab, stand auf und legte die Corix erneut
an. Diesmal schoß er sein ganzes Magazin leer, richtete aber wieder wenig
aus. Lediglich der linke Arm Nightmares wurde in Ellenbogenhöhe abgetrennt.
Zerfledderte Kabelstränge, Chrom und Glasfaserleitungen hingen aus dem
Stumpf.
Schnell brachte sich Wargate hinter einem Kamin in Dek-kung, lud mit zitternden
Fingern die Schrotflinte nach und atmete aufgeregt aus und ein. Manchmal benötigt
er mehrere Versuche, bis er eine Patrone in der Kammer hatte, Angst-schweiß
stand ihm auf der Stirn und unter der Kevlarweste rann das Wasser in Strömen
den Rücken hinab. Sein ganzer Oberkörper tat weh und er schätzte
auf mindestens zwei gebrochene Rippen. Nach einigen Sekunden sprang er hinter
der Schützung vor und blieb erstaunt stehen. Der Cyb war verschwunden.
Außer dem Mantel und dem komplett abge-klinkten, zerstörten Oberarm,
der auf dem Kleidungsstück lag, fand der Lt. keine Spur von ihm.
„Lt.! Helfen sie mir schnell! Das Seil rutscht langsam von meinem Fuß
und das Blut steigt mir in den Kopf!“ rief die Frau aus der Tiefe. Wargate
steckte die Corix auf den Rük-ken, sprang zurück, ließ sich
auf den Boden gleiten und robbte zur Kante des Hauses, um zu sehen, wo die Frau
hing. Kaum hatte er den Oberkörper nach vorne gelehnt, als sich eine Hand
von unten kraftvoll um seinen Hals legte und ihn mit unmenschlicher Kraft über
den Rand zog.
Cio stöhnte vor Schmerzen, hielt sich mit beiden Händen am ausgestreckten
Arm Nightmares fest, an dem er nun in fast 30m Höhe hing. Der Cyb grinste
ihn aus einem Fenster heraus an und sprach mit der Stimme der Frau, „Ein
Computer-modul hat etwas für sich. Jetzt mach dich fertig, Cop, nach-dem
ich schon die andere habe fliegenlassen!“ Er lachte wieder in seiner
üblichen Art und schleuderte den Lt. mit einer spielerisch anmutenden Bewegung
hoch, so daß Wargate mit Wucht oben auf die Teerplatten aufschlug.
Nightmare hangelte sich mit nur einer Hand rasend schnell den Blitzableiter
hinauf und stellte sich breitbeinig vor dem halbohnmächtigen Polizisten
hin. Das Linsenkarussel drehte sich wieder, rastete ein und fuhr leise sirrend
ein Zoomobjektiv aus. „Bist du bereit, für deinen Beruf zu sterben,
Wargate?“ Drei 30cm lange Klingen zuckten aus dem Handrük-ken des
Cybs hervor und glänzten höhnisch im flackernden Licht. „Leck`
mich, Killermaschine!“ Der Lt. nahm seinen Gegner sehr verschwommen wahr,
versuchte aber dennoch, seine schwere Pistole aus dem Gürtelhalfter zu
ziehen. Nightmare fischte die Waffe mit den Schneiden am Abzug heraus und schleuderte
sie hinterrücks in die Häuserschlucht. „Das sollte es für
dich gewesen sein, Lt. Wargate!“ sagte der Cyb und holte zu einem mächtigen
Schlag aus und ließ die Hand mit den tödlichen Waffen herabstoßen.
In diesem Augenblick erschien ein gepanzerter Helikopter mit donnernden Rotoren
aus der Tiefe. Der Pilot hatte an-scheinend das Radar des Cyb unterflogen und
die Maschine fast senkrecht an der Gebäudewand hochgezogen. Am Rumpf prangte
die unscheinbare Aufschrift „C- SWAT“ und ein großer Halogenscheinwerfer
bannte Nightmare in einen durchdringenden Lichtkegel.
Der Cyb reagierte schnell. Sofort sprangen die Laserzielhilfen auf den Schultern
an und visierten die seitlich montierten Gattlingschnellfeuergewehre an. Doch
der Bordschütze des Kampfhubschraubers löste die Waffen aus, deren
Läufe sich bereits mit hohem Surren gedreht hatten.
Das einsetzende Stakkato der Schüsse war ohrenbetäubend laut, leergeschossene
Patronenhülsen regneten klingelnd und unablässig auf das Dach. Das
orangegelbe Mündungsfeuer der Gattlings zog sich fast einen Meter in die
Länge. War-gate legte sich flach auf den Boden und nahm die Hände
schützend über den Kopf. Die weit über hundert Projektile zerrissen
den Cyb in Stücke, ließen ihn zurücktaumeln und den Torso über
den Rand ins Dunkle stürzen.
Die Schnellfeuergewehre verstummten und der Hubschrau-ber drehte ab. Wargate,
der sich aufgesetzt hatte, meinte den Piloten lachend winken gesehen zu haben.
Direkt vor seinen Füßen lag der zerstörte Kopf Nightmares. Die
drehbaren Optiken des linken Auges hingen lose aus der Höhle, wäh-rend
das Zoomobjektiv hilflos vor und zurück surrte. Das Computersprachmodul
wiederholte unablässig „..das sollte es für dich gewesen sein...“
und wurde immer langsamer, bis es ganz verstummte.
Angewidert kickte der Lt. den Schädel mit den befestigten und heraushängenden
Leitungen seinem Torso hinterher und stand auf. Unter ihm wurde gerade die schwerverletzte
Frau in eine Ambulanz geladen. Vielleicht würde er sie besuchen, aber zuerst
wollte er zurück in Urlaub. `Mindestens vier Wochen in die Frischluftkolonie
oder ans Meer` dachte Cio und schleppte sich unter Schmerzen zur Treppe. Nichteinmal
der Gedanke ans Autofahren bereitete ihm Vergnügen, und das sollte etwas
heißen.
In Neo Northside ging das Leben weiter wie bisher...
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